Die nordschwedische Stadt Kiruna liegt 140km nördlich des Polarkreises in der Provinz Norrbottens län und der Provinz Lappland. Kiruna befindet in einem an Eisenerz reichen Gebiet zwischen den Bergen Luossavaara and Kiirunavaara.[1] Die hier vorhandenen hochwertigen Erzvorkommen führten zu einer schnellen Erschließung durch die Eisenbahn (schwedische Erzbahn) Mit der Aufhebung des schwedischen Exportverbots für Erz konnte Kiruna Ende des 19. Jahrhundert aus vereinzelten Siedlungen der Samen, die Urbevölkerung Nordschwedens, zu einer Gemeinde und Stadt zusammenzuwachsen.[2][3] Als Katalysator für eine organisierte Stadtplanung gelten, entgegen der bis dahin vorherrschenden unkontrollierten informellen Siedlungen entlang der Abbaugebiete, die Entscheidungen von Hjalmar Lundbohn. Dieser war 1898 Generaldirektor des schwedischen Bergbauunternehmens LKAB[4] und nahm gemeinsam mit den Architekten Per Olof Hallman und Gustaf Wickman erste stadtplanerische Entwürfe für die zukünftige Siedlung vor. In diesem sehr ambitionierten Entwurf gelang es einen neuartigen Prototyp für Bergwerkstädte in Schweden zu entwickeln, welcher die urbane Grundstruktur mit den gemeinschaftlichen Bedürfnissen der Einwohner, wie Schulen, Feuerwehrstation, Kirchen und Gemeinschaftshäuer, zu einem städtischen Gewebe verwob.[5] Zudem wurden regionale klimatische Gegebenheitenin von der Architektur berücksichtigt und die Infrastruktur der Topografie angepasst. Anhand dieser Merkmale wird Kirunas Stadtarchitektur auch als „Kiruna Stil“ bezeichnet. Die wirtschaftliche und städtische Expansion endete nach dem Zweiten Weltkrieg. Von einer Restrukturierungsphase der Bergbaugesellschaft 1970 wurde auch die Stadt ergriffen, sodass Infrastruktur und einige Gebäude abgerissen und modernisiert wurden. Erst mit dem schleichenden Verlust historischer Bauten entwickelte sich ein öffentliches Bewusstsein für Denkmalschutz, welcher in einem Konservierungsplan im Jahr 1984 mündete und bestimmte Gebäude zum ersten mal unter Schutz stellte. Weiterhin wurde das urbane Gefüge Kiruna vom Bergbau bestimmt, der mit dem wachsenden Bedarf an Eisenerz des Weltmarktes weiter expandierte und in Tiefen von 1365 Meter vordrang. Durch die exzessiven Erzförderungen kam es über die letzten Jahrzehnte immer wieder zu erheblichen Absenkungen in der Region. Besonders betroffen war in der Zeitspanne von 1970 bis 1980 der Stadtteil Ön, dessen gesamter Grund beinahe abgesunken ist.
2004 beschloss das Bergbauunternehmen LKAB, welches komplett im Besitz des schwedischen Staates liegt, eine weitere Expansion der Fördervorhaben in der Region. Dadurch würden große Teile der Stadt und der Kommune, zudem viele denkmalgeschützte Gebäude, von einer massiven Veränderung betroffen sein. Die den Minen am nächsten gelegene betroffene Stadt Malmberget musste zum großen Teil schon 2006 geräumt werden und die Bewohner wurden in die Gemeinde Gällivare umgesiedelt. Auf Grund des Ausmaßes der Minenerweiterung müssen auch in Kiruna große Bereiche, darunter auch das Stadtzentrum aufgegeben werden. Deshalb sehen ersten Planungen die sukzessive Verlegung der Stadt bis 2021 vor.
Durch den Ausbau der Bergbauanlagen und die damit gravierenden Veränderungen in der natürlichen als auch städtischen Landschaft ist ein interessantes Spannungsfeld der ökonomischen (Bergbau), ökologischen (Landschaft und Rentierzucht) und kulturellen (Denkmalschutz) Interessen entstanden. Da der Bergbau für die Stadt unverzichtbar ist, überwiegen die Interessen der LKAB, welche für aufkommende Schäden Kompensationszahlungen tätigen will. Aber bereits jetzt sind in der Umsetzung des neuen Stadtplans kontroverse Meinungen bezüglich des Erhalts denkmalgeschützter Gebäude aufgetaucht. Wenn der Denkmalschutz den weiteren Ausbau der Minen verhindert, würde die wirtschaftliche Grundlage der Stadt entzogen und somit zu einem ökonomischen Desaster führen. Andererseits plädieren die kulturellen Kräfte der Stadt für den Erhalt des architektonischen Erbe als Verpflichtung gegenüber der Identität des Ortes.
Der Konflikt zwischen ökonomischer Notwendigkeit und kultureller „Wertschöpfung“ aus dem gebauten Erbe manifestiert sich in Kiruna in einer Auseinandersetzung bezüglich →Denkmalschutz, Identität, und der Entfremdung von existenzielle Erfordernissen in einer sozialstaatlichen Struktur. Anhand der „Industriearchitektur“ Kirunas wird deutlich, wie ein „Erhaltens-Wert“ eines Objektes über seine eigentliche Funktion hinaus entsteht.
Interessant ist dabei der Prozess der Transformation und Übersetzung von materiellen Werten, in Kirunas Fall Architektur, zu immateriellen Werten der Gesellschaft. Hierzu muss eben der Begriff des →Denkmalschutzes , aus seiner präservierenden Funktion, erweitert werden: „to refer to the process by which objects and places are tranformed from funtional „things“ into objects of display and exhibition.” [6] Aber gerade in Bezug auf die industrielle Produktionsstätte Kiruna, wird die Wertumkehr im selben Augenblick zum Paradoxon. Wenn das „Industrieerbe“ seiner Funktion und Produktion beraubt, nur noch als immaterieller Wert, besteht wird gleichzeitig ein Wandel der Gesellschaft vollzogen, die eben diese Produktion nicht mehr benötigt. Es vollzieht sich ein Schritt von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft, in der das Immaterielle den höheren Wert hat.
Nur ist in der prosperierenden Bergbaustadt Kiruna eben gerade die Produktion das wichtigste Organ der Stadt. Würde man sie zu einem Museum umwandeln, wäre das so, als ob man ihr das Herz herausreißt. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage nach der Lebensdauer einer ausschließlich von wirtschaftlichen Faktoren getriebenen Stadt, denn sobald die Erzvorräte aufgebraucht sind, werden ihr die kulturellen Wurzeln fehlen, um in der Einöde Lapplands zu überleben. Das räumlichen Versinken[7] Kirunas, zeugt von einer erheblichen Imbalance der urbanen Dimensionen der Stadt.