Sinking Cities
Lexikon

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Atlantis

Der Bericht über den Inselstaat Atlantis und dessen Versinken wird in Platons Dialogen Timaios und Kritias geschildert. Dieser Bericht wird auch als „der Atlantische“ bezeichnet[1]. Der Timaios-Dialog umspannt die naturphilosophischen Überlegungen Platons und bildet somit einen Schöpfungs-mythos der Welt[2] in den Platon die „Umsetzung“ seiner im Politea-Dialog gezeichneten Utopie eines Idealstaates anhand der beiden Staaten Urathen und Atlantis einbettet. Anders als in Politea wünscht Sokrates, einer der vier Redner im Timaios Dialog, diese Utopie „in Bewegung zu erblicken“:

 

„ […] hört nun ferner, wie es mir in Bezug auf diesen Staat (gemeint ist der zuvor im Politea erläuterte Idealstaat Anm. d. Verf.) wie wir ihn entwickelt haben, geht. Ich habe nämlich ungefähr dieselbe Empfindung dabei, wie wenn einer schöne Tiere sieht, sei es bloß gemalte , sei es auch wirklich lebende, die sich aber in Ruhe verhalten, und ihn dann das Verlangen ankommt, sie auch in Bewegung zu erblicken und etwas von den Eigenschaften, welche belebte Körper zukommen, im Kampfe erproben zu sehen. Ebenso also geht es mir mit dem eben entwickelten Staate. Denn gerne möchte ich jemanden darstellen hören, wie er diejenigen Kämpfe, welche seinem Staate zukommen, gegen andere Staaten bestehen würde, indem er auf eine würdige Weise zum Kriege geschritten wäre)[3] […] “

 

Kritias, als weiterer Sprecher in Platons Dialog Timaios, unternimmt die erste Beschreibung der Heeresmacht Atlantis. Hier nimmt er eine geografische Lokalisierung und Größeneinordnung vor: „Damals nämlich war das Meer dort fahrbar: denn vor der Mündung, welche ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles heißt, hatte es eine Insel, welche größer war als Asien und Libyen zusammen[4]“. Er erzählt weiter von dem Niedergang der Expansionsmacht Atlantis und dessen Scheitern im Kampf gegen die Ur-Athener. Nach dem kriegerischen Scheitern setzt eine göttliche Strafe ein und die Atlantiden gehen zusammen mit ihrer Inselstadt Atlantis innerhalb eines Tages und einer Nacht unter:

 

„[…]Späterhin aber entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht bei euch scharenweise unter die Erde; und ebenso verschwand die Insel Atlantis, indem sie im Meere unterging.“

 

Erst im Kritias-Dialog folgt eine ausführliche Beschreibung des Inselstaates. Die Gründung der Stadt Atlantis, auf der gleichnamigen Insel, geht auf den Meeresgott Poseidon zurück, welchem bei der Aufteilung der Erde durch die Götter, eben diese zufiel. Die Nachkommen, aus Poseidons Ehe mit der sterblichen Kleito, bevölkerten die Insel.[5] Diese Hauptinsel der Atlantiden hatte circa 400 bis 600 Kilometer Durchmesser und verfügte über ein reiches Vorkommen an Bodenschätzen wie Kupfer, Gold und anderen schmelzbaren Erzen. Die natürliche Vegetation wurde als üppig und sehr fruchtbar beschildert. Darüber hinaus erstreckte sich über die Insel ein künstliches Kanalsystem, welches die Ackerparzellen des Landes optimal bewässerte. Es wurden also ideale Ausgangsvoraussetzungen für eine Besiedlung beschrieben.[6]In der Mitte der Insel wurde die fruchtbarste und schönste Ebene auserwählt um zum Meer zugewandt eine ringförmige Stadtanlage zu errichten. Diese Anlage wurde durch drei gleichermaßen kreisrunde und befahrbare Kanäle, die einen Zugang zum Meer herstellten, definiert.[7] Der prachtvoll ausgestattet Poseidontempel und der üppig verzierte Königspalast mit weiteren königlichen Behausungen, bestehend aus Freibädern und Sportplätzen, lagen auf dem leicht erhöhten Zentrum der Anlage und beherbergten die politische Obrigkeit.[8] Die beiden übrigen vom Wasser eingeschlossenen Landringe waren der königlichen Garde als Wohnstätten vorbehalten. Darüber hinaus gab es eine Pferderennbahn, Kultstätten des Meeresgottes Poseidon, Gärten und Übungsplätze für die Soldaten. Die Wasserkanäle beinhalteten den inneren Kriegshafen und einen äußeren Handelshafen, der an die ummauerte Großstadt grenzte.[9] Regiert wurde der Staat von fünf Zwillingspaaren, welche auf Poseidons Verhältnis mit der sterblichen Kleito zurückgehen.[10] Mit dieser direkt vom Meeresgott abstammenden Generation, wurde die politische Grundstruktur eines Idealstaates, wie sie in der Politiea beschrieben wird, in Atlantis umgesetzt: „Diese Könige herrschen dem Gesetz und der Gerechtigkeit nach und waren untereinander gleichgestellt und folgten den Muster der Klugheit, Sanftmut und Uneigennützigkeit.“[11] Dieser Zustand bricht mit „Verdünnung des göttlichen Blutes“ des Herrschergeschlechts ab. Die „schlechten“ Attribute des „Menschseins“ nahmen bei den Atlantiden überhand und spiegelten sich in der aufkommenden Gier nach Machtausweitung und größerem Reichtum wider. Auf den moralischen Verfall[12] der Atlantiden folgte in ihrer Überheblichkeit die Niederlage gegen die Urathener, Platons noch intakter Idealstaat[13].Daraufhin bestrafte der Göttervater Zeus die entarteten Atlantiden[14]durch Erdbeben und Überschwemmungen.[15][16][17]

 

Der Bericht über die Bestrafung, welcher auf die beiden Timaios und Kritias Dialoge aufgeteilt ist, bricht nach Zeus gefasstem Entschluss die Atlantiden zurück „zur Besinnung zu bringen“ ab und wird erst im Timaois- Dialog mit den Folgen für Atlantis, nämlich dem Versinken in den Flutwellen, beendet.

 

Durch die in Platons Erzählungen enthaltenen vagen Ort- und Zeitangaben existieren zahlreiche Lokalisierungshypothesen des Atlantismythos. Sowohl Historiker als auch Naturwissenschaftler entschleiern, vermeintlich meist in Verbindung geohistorischer Veränderung einiger Regionen der Welt, die einstige Lage der Insel Atlantis.[18] Oft berufen auf die Theorien der Plattentektonik, wird Atlantis, je nach Auslegung der verschiedenen Hypothesen, mittlerweile an fast jedem Ort unseres Planeten wiedergefunden – vom Meeresboden der Azoren [19], über Nord- und Ostsee, bis unter die Eisdecke der Antarktis.[20] Dies hat aber weniger mit der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Hypothesen zu tun, als vielmehr mit der Interpretationsfreude der unterschiedlichen Autoren des Atlantis-Kontextes. Deshalb ist die Atlantiserzählung auch am sinnvollsten durch Platons Konzept des Mythos, als bildhaftes Gleichnis seiner Ideenwelt, zu verstehen, ungeachtet der vermeintlichen historischen Details. [21]

 

 

 

 

 

In diesem Sinne muss das Versinken Atlantis, als die letzte Konsequenz eines entarteten Idealstaates verstanden werden. Die überzeitliche und raumlose utopische Idee des Idealstaates Platons aus dem Politeia-Dialog wird in einer weit entfernten Vergangenheit durch Atlantis und Urathen realisiert. Timaois möchte die „Idee in Bewegung“ sehen und ermöglicht die Verknüpfung des reinen Ideals aus dem Politeia-Dialog mit der Atlantis-Erzählung.[22] Atlantis ist eine „Verortung“ des Idealstaates. In dieser spiegelt das besiegte Atlantis die bereits entartete und untergehende Form des Idealstaates wider, während sie in Urathen noch als solches existiert und nicht degradiert ist. Trotzdem wird auch diese, wie wir aus dem Timaios-Dialog erfahren, durch die Überschwemmung der Erde vernichtet. Während also die Urathener für ihre Freiheit kämpfen, und Atlantis als kriegerische Expansionsmacht gezeichnet wird, stehen sich beide unterschiedlichen, fast schon dualistischen, Ausformungen der Idealstaaten kämpfend gegenüber. Die Erklärung liefert uns das Konzept der Utopie Platons selbst. Hier wird die Bedingung des „Menschseins“ bereits als Unvollkommenheit definiert, aber als Konzeption eines Ideals mit aufgenommen. Deshalb müssen auch beide Idealstaaten untergehen, der eine früher als der andere. Dem Perfekten wohnt etwas Unperfektes inne. „Menschsein“ bedeutet die Unvollkommenheit. Das Versinken ist die Konsequenz des Menschseins.[23] [24] Wenn selbst das noch „reine“ Urathen von der Bestrafung nicht ausgespart wird, wäre die Hypothese aufzustellen, dass der Prozess des Versinkens in einem kosmischen Kreislauf des immerwährenden Auf- und Untergangs eingebettet liegt. Dafür könnten Platons Dialoge eine Grundlage liefern. In der zeitlich differenten Einordnung der Idealstaattypologien Platons, Atlantis als bereits versunken, der Untergang Urathens als das Gegenwärtige und im Politiea das nicht verorteten zeitlose Untergehen, wird dem Begriff des Versinkens eine überzeitlich herrschende Konstante zugeschrieben.

Auch taucht in Platons Texten der Untergang als immer wiederkehrendes Element auf. So beispielsweise im Nomoi Dialog :

 

„Über jene ersten verzweifelten Tage, als der Ozean nach den Krämpfen der Erde über die Ufer getreten war[…]„den Sagen von den vielfachen Verheerungen, die unter dem Menschengeschlecht stattgefunden haben durch Überschwemmungen, Seuchen und vieles andere[…] „

 

Athener: Dürfen wir nun nicht annehmen, dass sämtliche in der Ebene und am Meer gelegenen Städte zu der damaligen Zeit von Grund auf vernichtet wurden Kleinias bejaht dies“.[25]

 

Timaios Dialog, in dem auch der Untergang Atlantis eingebettet ist :

 

„[…]Wenn aber wiederum die Götter die Erde, um sie zu reinigen, mit Wasser überschwemmen, dann bleiben die, so auf den Bergen wohnen, Rinder- und Schafhirte, erhalten; die aber, welche bei euch in den Städten leben, werden von den Flüssen ins Meer geschwemmt; dagegen in unserem Lande strömt weder dann noch sonst das Wasser vom Himmel herab auf die Fluren, sondern es ist so eingerichtet, daß alles von unten her über sie aufsteigt. Daher und aus diesen Gründen bleibt alles bei uns erhalten und gilt deshalb für das Alteste. […]

 

Ihr dagegen und die übrigen Staaten seid hinsichtlich der Schrift und alles anderen, was zum staatlichen Leben gehört, immer eben erst eingerichtet, wenn schon wiederum nach dem Ablauf der gewöhnlichen Frist wie eine Krankheit die Regenflut des Himmels über euch hereinbricht und nur die der Schrift Unkundigen und Ungebildeten bei euch übrigläßt, so daß ihr immer von neuem gleichsam wieder jung werdet […]

 

Denn erstens erinnert ihr euch nur einer Überschwemmung der Erde, während doch so viele schon vorhergegangen sind; sodann aber wißt ihr nicht, daß das trefflichste und edelste Geschlecht unter den Menschen in eurem Lande gelebt hat, von denen du und alle Bürger eures jetzigen Staates herstammen, indem einst ein geringer Stamm von ihnen übrigblieb; sondern alles dies blieb euch verborgen, weil die Übriggebliebenen viele Geschlechter hindurch ohne die Sprache der Schrift ihr ganzes Leben hinbrachten. Denn es war einst, mein Solon, vor der größten Zerstörung durch Wasser der Staat, welcher jetzt der athenische heißt, der beste im Kriege und mit der in allen Stücken ausgezeichnetsten Verfassung ausgerüstet, wie denn die herrlichsten Taten und öffentlichen Einrichtungen von allen unter der Sonne, deren Ruf wir vernommen haben, ihm zugeschrieben werden[…]“

 

Das Versinken wird in den Platonischen Mythen nicht als etwas Endgültiges gezeichnet, sondern als Teil eines wiederkehrenden Prozesses. Dieses wird in dem unvollendeten Kritias Dialogs aufgegriffen und mit den Worten Zeus den Untergang, das Versinken, nicht als die Auslöschung der Menschen sondern das Zurücksetzten ihres entarteten Daseins „ zu einer edleren Lebensweise“:

 

„[…]Der Gott der Götter aber, Zeus, welcher nach den Gesetzen herrscht und solches wohl zu erkennen vermag, beschloß, als er ein treffliches Geschlecht so schmählich herunter-kommen sah, ihnen Strafe dafür aufzuerlegen, damit sie, durch diese zur Besinnung gebracht, zu einer edleren Lebensweise zurückkehrten. […]“[26]

 

 

Quellen

[1] Hermann Schreiber/Georg Schreiber: Versunkene Städte. Ein Buch von Glanz und Untergang, Paul Neff Verlag Wien, Berlin, Stuttgart 1955. S.41

[2] Donald Zeyl: Platos`s Timaeus, Stanford Encyclopedia of Philosophy, veröffentlicht 2005; überarbeitet 2013, http://plato.stanford.edu/entries/plato-timaeus/ (freie Übersetzung) (19.10.2013)

[3] Ulrich Hofmann: Platons Insel Atlantis. BOD GmbH, S. 29. Google eBooks http://books.google.de/books?id=jbPiAAAAQBAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_atb#v=onepage&q&f=false

[4] Zeno.org Bibliothek: Platon Timaios. Textabschnitt 102,

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Timaios (14.10.2013)

[5] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 204, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[6] 205-206(14.10.2013)

[7] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 211, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[8] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 212, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[9] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 213, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[10] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 210, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[11] Hermann Schreiber/Georg Schreiber: Versunkene Städte. Ein Buch von Glanz und Untergang, Paul Neff Verlag Wien, Berlin, Stuttgart 1955. S.43

[12] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 217, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[13] Sung- Chul Rhim: Die Struktur des idealen Staates in Platons Politeia. Die Grundgedanken des platonischen Idealstaates angesichts antiker und moderner Kritik, Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2005. S. 57-69

[14] Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias. Textabschnitt 218, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)

[15] Zeno.org Bibliothek: Platon Timaios.

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Timaios (14.10.2013)

[16] Hermann Schreiber/Georg Schreiber: Versunkene Städte. Ein Buch von Glanz und Untergang, Paul Neff Verlag Wien, Berlin, Stuttgart 1955. S.41

[17] Erich Rackwitz : Versunkene Welten- ferne Gestade, Urania- Verlag, Leipzig 1964. S. 25

[18] Erich Rackwitz : Versunkene Welten- ferne Gestade, Urania- Verlag, Leipzig 1964. S. 16

[19] Erich Rackwitz : Versunkene Welten- ferne Gestade, Urania- Verlag, Leipzig 1964. S. 19

[20] Rand Flem-Ath / Rose Flem-Ath: Der versunkene Kontinent unter dem ewigen Eis, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1997

[21] Donald Zeyl: Platos`s Timaeus, Stanford Encyclopedia of Philosophy, veröffentlicht 2005; überarbeitet 2013, http://plato.stanford.edu/entries/plato-timaeus/ (freie Übersetzung) (19.10.2013)

 

[22] Ruth Hagengruber: Platons Timaios. Eine Anleitung zur wissenschaftlichen Hypothesenbildung , Koblenz. S. 78., Web-Link: http://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/kw/

institute/einrichtungen/humanwissenschaften/philosophie/personal/hagengruber/PublikationenDateien/61-74/Platons_Timaios.pdf

[23] Sung- Chul Rhim: Die Struktur des idealen Staates in Platons Politeia. Die Grundgedanken des platonischen Idealstaates angesichts antiker und moderner Kritik, Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2005

[24] Erich Rackwitz : Versunkene Welten- ferne Gestade, Urania- Verlag, Leipzig 1964. S. 11

[25] Platon: Nomoi, Band 2;Bände 4-7;Band 9. Google eBooks:

http://books.google.de/books?id=14v4IuX8ODkC&pg=PA7&lpg=PA7&dq=nomoi+übersetzung+platon&source=bl&ots=6qtPSWQWpJ&sig=WiS85BQp_2KMwGVXu-LVsu93yIM&hl=de&sa=X&ei=fNwEU_2KIaiuyAOn4ICYDw&ved=0CCsQ6AEwADgK#v=snippet&q=vernichtet&f=false

[26]Zeno.org Bibliothek: Platon Kritias, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Kritias (14.10.2013)